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Avsnitt 4.3 - Zweifel

Ich machte mich zusammen mit Katrin und Raffi am Dienstagmittag auf den Weg nach Tschechien. Ich freute mich sehr, wieder ins Ausland zu reisen und das vertraute Kribbeln setzte bald ein. Die Reise verlief friedlich und knapp vor Mitternacht bezogen wir unsere Zimmer in einem gemütlichen Häuschen in Zàsada. Am nächsten Tag stand als erstes ein PCR-Test in Liberec an, dann fuhren wir ins Training. Malinik. Den Namen hatte ich bereits viel gelesen, wenn ich auf Strava durch die Trainings anderer AthletInnen scrollte, die einen Teil ihrer Vorbereitung in Tschechien verbrachten. Der Wald hatte nicht den besten Ruf. Die Karte erstreckt sich über einen Hügelzug mit ziemlich steilen Hängen. Unter einer dichten Laubvegetation verbirgt sich ein feines Relief, dass von hunderten Felsen und Steinklötzen gebildet wird. Die Belaufbarkeit ist an den meisten Orten stark eingeschränkt, auch wegen der vielen Kahlschläge. Ein Kämpfergelände, das einem technisch und mental einiges abverlangen kann, weil das OL-Machen hier nicht unbedingt Spass macht. Das Gelände des Middle Finals war von den tschechischen Veranstaltern jedoch als «mountain terrain» bezeichnet worden, also genau diese Art von Wald. Vom Gelände, in dem wir am Samstag laufen würden, gab es noch keine OL-Karte, aber die tschechische Landeskarte und Google Maps legten nahe, dass es dort etwas weniger ruppig zu und her gehen würde. Aber wie sagt man: Auf das Beste hoffen, das Schlimmste erwarten. Also machten wir uns auf nach Malinik.

Mir hat das Training nicht allzu gut getan. Technisch kam ich zwar gar nicht so schlecht mit dem Gelände zurecht, musste dafür mein Tempo aber ungewohnt stark reduzieren. Zwischendurch suchte ich dann trotzdem noch. Auch die Buchenruten, die das Gesicht und die zum Schutz erhobenen Unterarme bearbeiten wie ein übermotivierter Russe seine Gäste in der Banja, verlangten mir einiges ab. Nach fünfundvierzig Minuten Abmühen rutschte ich schliesslich noch beim Felsenhochklettern aus und zog mir einen Schnitt am Schienbein zu. Zuerst dachte ich mir nichts dabei, das Schienbein schmerzt nun einmal, wenn man es gegen Stein antreten lässt. Einige Meter weiter war meine Socke aber rot getränkt und ich begriff, dass die Verletzung tiefer war. Ich machte mich also auf den Rückweg. Die Schmerzen liessen nicht wirklich nach, weder auf dem Heimweg noch beim Mittagessen. In meiner Fixierung auf die Testläufe stellte das für mich kein ernsthaftes Problem dar. Katrin half mir mit Merfen und Mullbinden aus, danach verschlief ich den ganzen Nachmittag. Die Wunde sah am Abend nicht gerade erfreulich aus, immerhin hatten die Schmerzen deutlich abgenommen. Am nächsten Tag ging ich in eine Apotheke und erklärte einer älteren Tschechin mein Problem. Als sie verstand, dass die Worte, die ich sagte, English waren, verschwand sie wortlos nach hinten und kam mit einer jüngere Kollegin zurück. Sie konnte zwar mehr Englisch, mit meinen Ausführungen aber auch nicht viel anfangen. Schliesslich holte sie eine Auswahl an Medizinalprodukten hervor, von denen sie wohl dachte, dass sie zur Beschreibung passten, und ich konnte auswählen. Soweit verarztet ging es ins nächste Training.

Kalich ist eine dieser Karten, auf denen man einmal gewesen sein muss, genau wie die Nachbarkarte Drabovna, wo am Samstag die Middle Quali stattfinden würde. Sandsteinklippen bilden ein Plateau, wo Heidelbeeren und Kiefern weite Sicht und hohes Tempo erlauben. Überall gibt es Durch-, Auf- und Abgänge in den Felsen. Hunderte Postenstandorte. Von denen man jeden einzelnen suchen kann, wie ich bald feststellen musste. Das Gelände war zwar unglaublich schön, damit zurechtkommen tat ich nicht. Ein mittelgrosses Problem hinsichtlich meiner Ambitionen am Wochenende. Meine Gedanken fingen nach dem Training an, sich langsam in der bekannten Spirale abwärts zu drehen. Ich wusste nicht recht, was ich hier zu erreichen hoffte. Die Grundlage für eine Weltcupselektion legen natürlich. Aber wie? Ich wusste es nicht mehr. Zuhause war alles klar gewesen, ich hatte mich gut vorbereitet gefühlt und ausgeruht. Jetzt wusste ich nicht mehr richtig, wie man eine Karte in den Händen hält und war müde, niedergeschlagen. Unmotiviert. Alles war unklar. Wenn ich es mir recht überlegte, war es so, seit wir hier waren. Meine aus erwartungsvoller Freude und eingeredeter Bereitschaft gestrickte Selbstsicherheit, die mich zur Überzeugung kommen liess, im Vergleich mit den weltbesten OL-Läufern einen Platz unter den besten acht erreichen zu können, war in der Schweiz geblieben. An die frei gewordene Stelle traten die Selbstzweifel. Statt mir den letzten Schliff zu holen und mich ganz und gar auf die drei Wettkämpfe am Wochenende auszurichten, sass ich herum und tat nichts.

Am nächsten Tag, dem letzten vor den beiden Mitteldistanzrennen, versuchte ich, der Negativspirale zu entkommen. Dazu fuhr ich nochmals in den Kalich. Ich lief aber nur noch wenige Posten ernsthaft an, danach genoss ich einfach das Gelände. So konnte ich positive Emotionen generieren, ohne der Gefahr, dass mir durch weitere Fehler meine vermeintlich schlechte Vorbereitung wieder vor Augen geführt wurde. Das klappte gut, ich lief zielstrebig durch den Wald. Querlaufen ist etwas das ich kann und das mir immer gute Laune macht und da ich allein unterwegs war, hatte ich keinen Vergleich und fühlte mich schnell und sicher. Schliesslich machte ich noch Videoaufnahmen von diesem wunderschönen Gelände, ebenfalls etwas, das ich sehr gerne mache und das mir das Gefühl gab, dass es sich gelohnt hatte, nach Tschechien zu kommen, ganz egal wie die Testläufe verlaufen würden. Am Abend schrieb ich dann noch ein ambitioniertes, aber ehrliches Laufkonzept und ging zu Bett. Ich fühlte mich bereit.



Dieser Beitrag ist der dritte Teil einer Reihe, in der ich herauszufinden versuche, wieso ich an den Testläufen in Tschechien dermassen schlecht performt habe. Die anderen drei findet Ihr unten.

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