Avsnitt 4.4 - Das Eingemachte
Aufgrund meiner Erlebnisse während der Langdistanz macht es nicht viel Sinn, diesen Lauf auf meine o-technische Leistung hin zu untersuchen. Ich beschränke mich deshalb vornehmlich auf die beiden Mitteldistanzrennen.

Middle Q
Zielsetzung: 15% Rückstand
Drabovna – was für eine Karte! Technisch höchst anspruchsvoll, während die gute Belaufbarkeit ein hohes Lauftempo erlauben würde. Aber es gilt, die Energie, die nicht beim durchs-Gehölz-Klettern verbraucht wird, im Kopf einzusetzen, nicht in den Beinen. Die abschliessenden Training in der Vorwoche hatten mir deutlich gezeigt, wie sehr ich mein Lauftempo würde anpassen müssen, um die Fehlerquote möglichst klein halten zu können. Meine mentalen Vorbereitungen konzentrierten sich also vornehmlich darauf, dass ich nicht, wie sonst so oft, zu ungestüm starte und schon den ersten Posten suche. Während ich am Morgen dieses Tages X und auf der Hinfahrt noch versuchte, alles was mit OL zu tun hat, aus meinen Kopf fernzuhalten, um die nötige Ruhe zu erzeugen, konzentrierte ich mich beim Einlaufen darauf, diesen Grundsatz zum alles beherrschenden Gedanken zu machen. Zeit nehmen, um auf die Karte zu finden. Das klappte hervorragend während der ersten Sekunden. Ich sah sofort die Umlaufroute zum ersten Posten, die mir die Aufgabe leicht machen und die Möglichkeit geben würde, die nachfolgenden Posten vorzubereiten. Ich war mir sicher, dass ich mein Laufkonzept deshalb würde durchziehen können. Als ich aber um die Sandsteinecke bog, hinter der ich meinen Posten erwartete, hing da keine Flagge. Zuerst war ich etwas perplex. Ich wusste, dass ich richtig war und dass ich meinen Plan umgesetzt hatte. Dieser Posten musste hier stehen. Tat er offensichtlich aber nicht. Ich blieb erstaunlich cool. Versuchte meine Route nachzuvollziehen. Es stimmte alles, ich war sicher. Erst jetzt begann sich der Ärger langsam durchzusetzen darüber, dass ich meinen Vorsatz doch nicht befolgt hatte. Ich ging auf und ab und da – orange-weiss. Ich hatte die Postenbeschreibung nicht genau angeschaut und stand an der Aussenecke. Der Posten aber an der Innenecke. Das Ganze kostete mich vielleicht 30 Sekunden, aber den guten Start in den Wettkampf hatte ich mir damit verdorben. Leider reagierte ich nicht mit einem zweiten Versuch, sondern begann sofort zu versuchen, das Malheur wieder gutzumachen. Aller Vorsätze zum Trotz, war das Mittel, das ich instinktiv dafür wählte, schneller zu rennen. Eine fantastische Idee. Auf der Route zum zweiten Posten unterlief mir dann prompt ein Parallelfehler, den zu verstehen mein Gehirn erst zustande brachte, als ich Minuten lang hektisch hin und her gegangen war und sich der Laktatpegel in meinem Blut wieder einigermassen gesenkt hatte. Danach gelangen mir einige gute Posten, die ich sicher und mit ansprechendem Tempo anlaufen konnte. Posten sechs folgte wiederum nach einer etwas längeren Teilstrecke. Ich wählte die Nicht-Schweizerroute, die anscheinend vom Bahnleger auch als beste Option gedacht gewesen war. Die Umlaufroute stellte sich jedoch als Minuten schneller heraus. In meinem Fall war das allerdings nicht das Hauptproblem. Nachdem ich den Anfang der Teilstrecke bereits etwas schludrig umgesetzt hatte, soweit aber alles vorbereitet hatte, was ich auf dieser Route vorbereiten wollte, hatte ich das Gefühl, noch näher ans physische Limit gehen zu können. Die letzten zweihundert Meter vor dem Postenraum wurde der Boden allerdings etwas tiefer und der Laktatpegel schnellte umgehen wieder in die Höhe. Im Moment merkte ich das natürlich nicht, aber im Nachhinein kann ich mich gut an das Gefühl erinnern. So verliess ich das Plateau trotz gutem Plan und wider besserem Wissen über die falsche Mulde und suchte verzweifelt in den falschen Felsen nach meinem Posten. Für ein abgeklärtes Auffangen reichte der Sauerstoffvorrat leider nicht mehr. Und auch für Posten sieben nicht. Die vorhergegangene Aktion hatte meine ganze Aufmerksamkeit verlangt und der Plan für Posten sieben war dabei verloren gegangen. Insgesamt Zeitverlust. Nach dieser problembehafteten Phase konnte ich nochmals sicher OL machen, bis ich im Ziel war. Das heisst Minuten habe ich durch offensichtliche Fehler verloren, der Rest der Minuten wird eine Zusammensetzung aus tieferer physischer Leistungsfähigkeit und Unerfahrenheit in diesem Gelände gewesen sein. Schlussendlich führte meine Leistung zu einem Rückstand von 37.87%.

Bei der Auswertung zeigt sich, dass sich ein Muster durch meine Fehler zieht: Sie alle waren dadurch entstanden, dass ich mit zu hohem Puls einen Sichtpunkt falsch zuordnete und danach zu keiner Reaktion fähig war, als ich merkte, dass etwas nicht stimmte. Ich würde für den Middle Final am Abend also ein besseres Umschaltspiel mitbringen müssen.
Middle F
Zielsetzung: 13% Rückstand
Ich wusste, dass der zweite Lauf deutlich physischer werden würde als der erste. Eine gute Erholung zwischendurch war also entscheidend. Das gelang gar nicht schlecht. Nach einem Power-Nap fühlte ich mich sogar frischer als am Morgen. Mit dem ersten Lauf hinter mir war ich generell deutlich entspannter. Das speigelte sich dann auch in meiner Wettkampfleistung wieder. Die Anfahrt an den Start, die über eine Strasse führte, die einen etwas am Verstand der Bauplaner zweifeln liess, trug vielleicht ebenfalls noch etwas dazu bei. Auf der löchrigen Schotterstrasse mit zeitweise annähernd 25% Steigung wurden auf jeden Fall einige Stresshormone freigesetzt. Die Gegenreaktion des Parasympathikus auf diesen kurzen Kortisolanstieg verhalf mir dann zum optimalen Gemütszustand. So setzte ich mein Laufkonzept ziemlich genau so um, wie ich mir das vorgenommen hatte. Da dieses Gelände mit den Skipisten und dem weitsichtigen Kiefernwald deutlich weniger anspruchsvoll war als am Morgen, konnte ich mich diesmal physisch näher am Limit bewegen, ohne sogleich in einen Fehler zu laufen. Zwei Schlenker im Postenraum vom Posten 8 und 11 sowie eine schlecht getroffene Routenwahl zu Posten 12 waren das Einzige, das mich von einem perfekten Lauf trennte. Einige Male spürte ich, wie ich der anaerobe Schwelle kratzte, mit der Gefahr, jegliche Befähigung zum Denken einzubüssen, konnte mich aber immer genug zurücknehmen, dass ich auf der Karte blieb. Im Ziel war ich sehr zufrieden. Dass ich trotzdem fünf Minuten verlor, war frustrierend. Nach dem Debakel am Morgen war ich aber froh, zu wissen, dass ich doch OL machen konnte. Dieser Rückstand entspricht 15.07% und ist damit höher als die angestrebten 13%. Dass ich auch mit diesen 15% ganz hinten im Schweizer Feld landete, zeigt, wie ich mich bei der Zielsetzung verschätzt habe. Um unter die besten zehn zu laufen, was für eine Weltcup-Selektion so ungefähr nötig gewesen wäre, hätte ich höchstens 8.66% verlieren dürfen.

Was mich ebenfalls etwas fuchst: Im technisch deutlich simpleren Gelände schlug ich mich deutlich besser. Daraus irgendwelche verallgemeinernde Schlüsse zu ziehen macht natürlich keinen Sinn, die beiden Läufe passen aber durchaus in ein Muster, dass sich seit einer gewissen Zeit durch meine Resultate zieht. Und so gar nicht mit meinem Selbstbild überein stimmt.
Long
Zielsetzung: 12% Rückstand
Um schlussendlich doch noch kurz auf die Langdistanz zu sprechen zu kommen: Mit einer Erfahrung in Sachen Middle Qualifikation und Final von Null, versuchte ich im Vorfeld eine Simulation durchzuführen, um zu sehen, wie ich auf diese Doppelbelastung reagiere. Das hat wunderbar geklappt, was ich dabei aber nicht simuliert habe, ist am nächsten Tag auch noch eine Langdistanz zu laufen. Dann hätte ich vielleicht gewusst, dass meine Glykogenspeicher nach zwei Wettkämpfen an einem Tag nicht mehr in bester Verfassung sind und ich alles unternehmen muss, um sie bis am nächsten Tag wieder zu füllen (mehr als einen Gel mitnehmen, beispielsweise). Aber heti, weti, velochetti.
Fazit
Zusammenfassend sieht meine Antwort auf die im ersten Beitrag dieser Reihe gestellten Frage folgendermassen aus:
Für eine gute Ausgangslage in Sachen Weltcupselektion waren die Zielsetzungen von 14%, 13% und 12% nicht zu hoch angesetzt, sondern zu tief.
Für mich persönlich lagen diese Prozente gerade noch so im Bereich des Möglichen. Mit perfekten Läufen hätte ich sie erreichen können. Dass die Wahrscheinlichkeit, drei perfekte Läufe hintereinander hinzubekommen nicht gerade hoch ist, muss ich niemandem erklären. Dass ich in der Langdistanz weniger Zeitverlust auf die Spitze erwartete, speist sich aus meiner Erfahrung. Das muss aber vielleicht überdacht werden.
Das Training im Frühling fühlte sich gut an, die Lücke zu den besten der Welt ist aber nicht kleiner, sondern grösser geworden. Anhand der Leistungstests wäre feststellbar gewesen, dass ich nicht dort bin, wo ich gerne wäre. Zu einem gewissen Grad habe ich das aber ignoriert, um Negativität zu vermeiden und die Motivation hochzuhalten.
Die Erholung zwischen Middle und Long hat nicht gereicht.
Ich war nicht mit der mentalen Haltung in Tschechien, die ich für drei gute Läufe gebraucht hätte.
Und daraus lassen sich folgende Lehren ziehen:
Ich muss weiterhin an meiner Disziplin arbeiten, damit ich Zeit habe für alles, das ich brauche, um mich ausgeglichen zu fühlen. Das ist entscheidend, damit ich sowohl im Sport als auch in der Ausbildung erfolgreich sein kann.
In meinem Trainingsalltag braucht es frischen Wind. Woher der wehen wird, gilt es herauszufinden.
Wenn sich diese Situation nicht aus dem Wettkampfkalender ergibt, muss ich Tage mit anhaltend hoher Belastung häufiger simulieren.
Ich muss ein Konzept entwickeln, wie ich mit der Situation umgehe, wenn ich meine Leistungsfähigkeit vor einem Wettkampf anzweifle – ob explizit oder implizit.
Bis zur zweiten Testlaufserie in Arosa wird sich da nicht viel machen lassen, aber an meiner mentalen Haltung kann ich auf jeden Fall arbeiten. Wir werden sehen, wie gut es mir gelingt.
Rock’n’Roll!
Dieser Beitrag ist der letzte Teil einer Reihe, in der ich herauszufinden versuche, wieso ich an den Testläufen in Tschechien dermassen schlecht performt habe. Die anderen drei findet Ihr unten.