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Högtid Bergün

Bergün – das Bahndorf. So verkauft sich die Bündner Gemeinde in Anlehnung an die Albulastrecke der Rhätischen Bahn, die sich auf dem Weg ins Engadin mit mehreren Kehrtunneln über dem Dorf in die Höhe schraubt. Gemäss der Lautsprecherstimme in den Zügen, die wahlweise Deutsch oder Englisch kann, in der aber immer eine Spur zu viel Enthusiasmus klingt, wird «die Bahnfahrt so zum Verwirrspiel». Viel mehr hat Bergün allerdings nicht zu bieten. Das Tal ist eng und wird von der Bahnlinie und der Passstrasse gefüllt. Alles was dazwischen passt ist notgedrungen klein gehalten. Es gibt einen kleinen Volg, ein kleines Schwimmbad, einen kleinen Camping. Eine kleine Bergbahn führt nach Darlux hinauf, fährt aber nur zur vollen Stunde. Ehrlichgesagt ist sogar alles klein, das mit der Albulastrecke zu tun hat. Es gibt ein Modelleisenbahnmuseum, die Rhätische Bahn fährt Schmalspur und auch das fahrplantechnische Angebot ist relativ bescheiden – ebenfalls Stundentakt.

Es stellt sich folglich die Frage, wieso wir ausgerechnet in Bergün trainieren wollten. Wir hatten die Absicht, eine Woche zu verbringen, wie wir es im letzten Sommer im Val Müstair taten, wollten aber nicht mehr ganz so weit reisen. Weil wir 2018 im Rahmen der Swiss-O-Days bereits in Bergün waren und wir damals sehr gut trainiert haben, fiel unsere Wahl wieder auf diese Destination. Die Bedürfnisse der Teilnehmenden waren ganz unterschiedlich gelagert. Die einen wollten vornehmlich auf den Rollskiern trainieren, andere ihrer OL-Technik hinsichtlich der Testläufe in Arosa den letzten Schliff verleihen und wieder andere möglichst viele Höhenmeter fressen und die Aussicht auf den Trails weit über dem Talboden geniessen. Von dem her passte Bergün eigentlich ganz gut, denn von alledem gibt es ein klein wenig etwas. Daneben gibt es aber auch einige Herausforderungen, die während der Planung nur ungenügend berücksichtigt wurden. Es gibt genau eine asphaltierte Strasse auf der Rollskitrainings absolviert werden können, nämlich die, die auf den Pass führt. Von dort hinunter kommt man dann jedoch weniger leicht. Entweder man bestellt den Bus, der nur auf Wunsch fährt, oder läuft die zehn Kilometer mit Ski, Stöcken und Helm beladen zurück. Es gibt natürlich noch die Zwischenlösung mit Preda und dem Zug zurück nach Bergün, aber da muss man sich auch wieder den dünnen Fahrplan anpassen.

Seit drei Jahren gibt es zwei OL-Karten im Tal, welche die Möglichkeit eröffneten, von der Unterkunft aus zu trainieren und die Högtid ohne Auto durchzuführen. Aus irgendeinem Grund ist das für mich persönlich immer ein besonderes Kriterium bei der Auswahl der Trainingsorte. Das mag ein guter Ansatz sein, in diesem Fall hat es die Dinge aber vor allem verkompliziert. Beide Karten im Albulatal sind relativ klein (Überraschung), weshalb wir auch noch Trainings im Engadin geplant hatten. Mit dem Zug sind die durchaus erreichbar, es dauert aber eben alles seine Zeit, in der man auch etwas Warmes essen, duschen und sich erholen könnte. Mit dem Auto wäre alles etwas besser aufgegangen und wir hätten ja auch alle Plätze gebraucht.

Weiter gibt es in der Region zwar eine Vielzahl wunderschöner Wanderwege, die sich gut für Trailrunning eignen, aber die Touren, welche dieses Wegnetz erlaubt, werden eher fünf als drei Stunden lang. Vielleicht auch nicht gerade das, was man sucht, wenn man ein mehrtägiges Trainingslager plant.

Eine zusätzliche Herausforderung war unsere Unterkunft. In Erinnerung an den sehr warmen Sommer 2018 bin ich schlauerweise lange davonausgegangen, dass es auch dieses Mal schön sein würde. Zudem entsteht auf dem Camping immer dieses Oringen-Feeling, das uns dieses Jahr wegen der Pandemie verwehrt bleiben würde und das man, einmal erlebt, nie zu lange missen will. Bei der Reservierung habe ich verdrängt, dass es an vier der fünf Mehrtageläufe, an denen ich bis jetzt zugegen war, mehr geregnet hat als etwas anderes. Kombiniert man schliesslich dieses nordische Wetter mit einer alpinen Höhenlage von 1400 Metern über Meer, erhält man Nebel, Nieselregen und frische zehn Grad. Alles andere als einladend also für eine Woche im Zelt.

Wir fuhren aber natürlich trotzdem. Die Wetterprognosen sahen anfangs zwar noch sehr schlecht aus, aber während die grossen Schweizer Seen über ihre Ufer traten, plätscherte die Alvra brav in ihrem Bachbett dem Rhein entgegen. Die Trainings liefen gut und unser Klubhaus und ein Unterstand auf dem Camping boten uns einigermassen Schutz vor den Elementen. Jeden Tag machten wir uns von neuem auf die Suche nach der Sonne, die man ab und zu schwach durch die Wolken schimmern sah, fanden sie aber nie so richtig. Auf den Gemütern und bei der Gesundheit der einen Wombats hinterliess das Spuren, so dass sich unsere Reihen immer weiter lichteten. Schlussendlich waren nur noch zwei Wombats übrig, die bis am Sonntag blieben (und das Klubhaus nachhause schleppten). Das gesamte Programm umfasste fünf OL-Trainings inklusive Engadiner Abend-OL, vier längere Laufeinheiten und eine Reihe von Rollskitrainings, die alle ein Mindestmass an Qualität erfüllten. Dazwischen fuhren wir viel Zug und es wurde selbstverständlich Tichu gespielt.


Diese Woche kann damit trotz allen Unzulänglichkeiten durchaus als Erfolg verbucht werden. Es gibt aber einige Dinge, die wir ein nächstes Mal anders machen müssen. Mit Rücksicht auf die Umwelt und damit unsere Verantwortung wahrnehmend zu trainieren ist zweifelsohne möglich. Wenn man diesen Weg geht, sollte man aber berücksichtigen, dass man eben vielleicht kein Auto zur Verfügung hat. Und wenn es einmal nicht möglich ist, muss man sich bewusst sein, dass es schlussendlich nicht in erster Linie von unseren individuellen Handlungen abhängt, ob wir die Kurve noch kriegen oder nicht. Die Menge macht den Unterschied, also müssen wir Wirtschaft, Gesellschaft und Politik umgestalten. Und uns derweil nicht vom Trainieren abhalten lassen.

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